3. Spieltag
In Hessen, zwischen Bonn und Homs
"Meinem Vater ist das schon zu blöd, sich das Ding da jetzt anzuschaffen, weil er auch nicht weiß, wie das mit dem Internet funktioniert. Wo soll das hinführen?"
Vermutlich dahin, dass Markus Gisdol nächsten Freitag nicht mit nach Hannover fährt um seinen HSV zu coachen, sondern daheim beim Papa verzweifelt versucht, den Eurosport Player ans Laufen zu bekommen. Bleibt zu hoffen, dass Pál Dárdais Vater mehr Glück hat, wenn er Sonntagmittag seinem Sohn bei der Arbeit in Hoffenheim zusehen mag. Ich vermute jedoch, dass der ungarische Bundesliga Anbieter die Sache besser im Griff hat.
Ich verbrachte den größten Teil des Wochenendes im tiefsten Hessen, zwischen Bad Harzberg und Fulda. Ebenfalls eine recht wackelige Internetgegend. Zum recherchieren syrischer Foltermethoden des al-Assad Regimes, reichte der Empfang jedoch aus. Der Regisseur Anis Hamdoun leitete einen Workshop mit dem - nicht auf seinem Mist gewachsenen - Titel: Diversity, Antirassismus, vorurteilsbewusste Bildung/Erziehung und Empowerment durch Theater.
Meine Befürchtung in die graue, trockene Welt der Theorien abzurutschen, bewahrheitete sich nicht. Anis erzählte uns zunächst von seinen Erlebnissen im syrischen Bürgerkrieg. Von der Schreckensherrschaft al-Assads, dessen Vater bereits in den 60er Jahren Naziverbrecher aus Deutschland einkaufte, um ein System der Folter und der Angst aufzubauen. Fußballstadien werden missbraucht um Menschen zusammenzutreiben, niederzuknüppeln und zu verhaften. Gefängnisse gleichen mittelalterlichen Folterkammern. Kann man alles nachlesen, mühelos mit ein paar Klicks. Es aus erster Hand zu hören, lässt einen mit geweiteten, feuchten Augen und offenem Mund dasitzen.
Anis drückt dabei nicht auf die Tränendrüse, er führt über die Leichtigkeit in die Tiefe. Optisch gleicht er, seitdem ihm Granatsplitter sein linkes Auge nahmen, Kapitän Langstrumpf aus Astrid Lindgrens Pipi Filmen. Piratenaugenklappe, zum Pferdeschwanz gebundene schwarze lockige Haare, massiger Körper und als Kontrast, eine sanfte helle Stimme.
Bis zur Mittagspause waren wir alle ziemlich bedient.
Ich bin erstmal eine Runde im Wald spazieren gegangen, das musste sacken. Zeitgleich verabredeten sich Freunde in einer WhatsApp Gruppe zum Regionalliga West Spiel, Bonner SC - SG Wattenscheid 09 (1:1). Wäre ich auch gerne dabei gewesen, aber die 300 km nach Bonn am Rhein, erschienen mir viel weiter als die 3000 nach Homs in Syrien.
Dass Anis Hamdoun ein exzellenter Regisseur ist, erlebte ich am Nachmittag. Er übertrug seine Lebensfreude scheinbar mühelos auf uns. Eine kurze Theaterszene sollte gebaut werden, aus dem geschilderten und recherchierten Horror des Vormittags.
Wir gingen es surreal an.
Kurz vor der Hinrichtung wird ein bestens aufgelegter Gefangener von einem noch viel besser gelaunten Talkshowmoderator interviewt. Überraschungsgäste tauchen auf. Der ebenfalls inhaftierte beste Freund freut sich, auf die zu erwartende zusätzliche Olive zum Abendbrot. Die Ehefrau kommt aus dem Frauentrakt herüber, es entsteht ein lebhaftes Quizduell, wer von beiden die größte Folter über sich ergehen lassen musste. Wir einigen uns auf Unentschieden. Nachdem die Eltern sich ein letztes Mal unter Vorwürfen verabschieden, erbittet sich der Gefangene einen Moment für sich. Er setzt sich in Position, zeitgleich mit den Henkern kommen alle Figuren zurück auf die Bühne, verdecken summend den Todgeweihten, öffnen die Reihen wieder und durch das Spalier der Menschen, fällt der Blick auf einen leeren umgekippten Stuhl.
Nur mit dieser Verdrehung war es uns möglich zu spielen und zu erzählen. Beim Applaus sah ich in die Gesichter unserer zuschauenden Kolleginnen und Kollegen. Weite glasige Augen. Der Klos war aus unserem Hals, in ihre Hälse gewandert.
Ich wollte eigentlich hier heute noch zwei kleine Gags verarbeiten. Zum Effzeh etwa in die Richtung, wenn die Trikots schon nicht zur Hose passen, fehlt vorne das Zwingende und hinten die Klarheit.
Zu Bibiana Steinhaus etwas in die Richtung, Glückwunsch zum einwandfreien 253. Einsatz als Schiedsrichterin. Es kam am Wochenende irgendwie der Verdacht auf, sie mache das zum ersten Mal.
Aber Fußball ist manchmal auch gar nicht so wichtig. Geht lieber übernächsten Sonntag an die Wahlurne. Hier in Deutschland kostet das nur Zeit und nicht das Leben. Außerdem sollten diejenigen die niemals kapieren werden, wer wann und warum ein Recht auf unsere Hilfe und unsere Heimat hat, zahlenmäßig so klein bleiben wie sie im Herzen kalt sind.
Ich melde mich wieder wenn der FC in London gespielt hat.
Arsèn knows vs. Pitter weiß et!
Mit Jalal Mando (rot) haben wir auch noch telefoniert. Seine Geschichte erzählte er 2016 welt.de. Hier der Link: